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2002

Museumsreisen mit dem Skizzenbuch

Gerard Houkgeest, um 1600-1661
Grabmal Prinz Wilhelm I. und seiner Familie in der Nieuwe Kerk zu Delft, 1650

Das holländische Kircheninterieur ist ein Gattungsbegriff. Als ein Spielfeld für Perspektive und geometrische Kompositionsmöglichkeiten bietet es dem Maler Gelegenheit, mit einer raffinierten Lichtregie inhaltliche Schwerpunkte durch formale Mittel zu unterstützen. Houkgeests grossformatiges Beispiel einer genauen Wiedergabe eines den Zeitgenossen gut bekannten Kirchenraums ist durch einen beidseitig beschnittenen Rundbogen gerahmt. Auffallend an der Bildkomposition ist die perspektivische Anlage, die den Chor mit dem Grabmal vom Seitenschiff aus zeigt und dabei die Blickrichtung diagonal zur Länge des Kirchenraumes führt. Farblicher Grundton ist ein warmes Weiss an Wänden und Säulen, welches das einfallende Sonnenlicht reflektiert und der Architektur ihre schwere Körperhaftigkeit nimmt. Dem hellen Klang entgegengesetzt sind die dunklen Farben der Memoralientafeln und des schwarzen Marmors am Grabmal und auf den Fliesen.

Der Blick des Betrachters wird über die Figuren, mit denen er die Augenhöhe teilt, zum Grabmal im Bildzentrum geführt. Die Personen im Vordergrund, von einem schmalen Lichtstreifen erhellt, wecken die Aufmerksamkeit. Sie studieren eine der Grabplatten, die rund um den Chor im Boden eingelassen sind. Es ist denkbar, dass sie das Relief auf ein Papier übertragen, oder die Inschrift abzeichnen. Ein Knabe betrachtet die Szene, während im Hintergrund an einen Pfeiler angelehnt, eine Mutter ihr Kindlein stillt. Wie in vielen holländischen Bildern aus dieser Zeit, wird auch hier das Thema der Vergänglichkeit ins Spiel gebracht, wobei Houkgeest dem Tod – verkörpert durch Grabmal und Grabplatten – das Leben gegenüber-stellt, für das er die Figur der Mutter mit ihrem Kind erfindet und weitere Personen in verschiedenen Lebensaltern hinzufügt.

Die Anlage der Bildkomposition vermeidet es, das fürstliche Grab zum alleinigen Thema zu machen. Vieles ist verdeckt oder nur von der Rückseite zu sehen und über die architektonische Gestalt des Monuments, das den wichtigsten Bereich der Kirche ausfüllt, erfahren wir nur Bruchstückhaftes. Der Maler zeigt uns zwei Eckstatuen: die Allegorie der goldenen Freiheit und ihr gegenüber, nur im Profil zu erkennen, die Allegorie der Gerechtigkeit. Nicht das Grabdenkmal bestimmt das Bildthema, sondern die Menschen, die sich zwischen den mächtigen Säulenbasen bewegen und den vom Sonnenlicht erwärmten Raum zum Leben erwecken. Vom grossen Standbild des Oraniers ist nur das Knie auszumachen. 1650 starb Wilhelm II., dem es nicht gelungen war, an die Beliebtheit seines Vorgängers anzuknüpfen. Wie seine Eltern wurde er in der Familiengruft beigesetzt. Ein Nachruf auf den Fürsten ist das Bild nicht. Viel eher kann man darin eine verhaltene Form der Kritik erkennen. Durch die verhinderte Sicht auf das Standbild wird der Verstor-bene einfach ignoriert.

Giovanni Battista Tiepolo, 1696-1770
Die Passion Christi, 1745/1750

Tiepolo inszeniert den Opfergang Jesu mit der dramatischen Wucht des italie-nischen Spätbarocks. In seiner Zeichnung ist schon alles enthalten. Sie ordnet und beherrscht das Bild bis in die Details der malerische Ausführung, schildert mit scharfer Linie in brauner Sepia die Anatomie der Bewegungen und des Ausdrucks und macht die menschlichen Abgründe in allen ihren Formen zum Thema. Tiepolos Zeichnung ist Leidenschaft und Temperament. Die Verlassenheit Jesu wird bei ihm zum Alptraum. Zügellos ist der Hass und die Grausamkeit der Schergen, der Verschwörer. In ihren Gesichtern lauern unberechenbare Unmenschlichkeit und Bestialität, in ihren bewegten Körpern die Bereitschaft sich auf das geschundene Opfer zu stürzen um es voller Lust zu quälen. Der Betrachter leidet mit, kann sich von dieser verzweifelten, gedemütigten und verhöhnten Menschengestalt kaum abwenden. Mit teuflischem Vergnügen wird die Dornenkrone auf das Haupt Jesu gedrückt, während der ganze Zug in einer lärmenden und taumelnden Bewegung unter dem Torbogen erscheint und sich weiter nach vorne wälzt.

Albert Marquet 1875-1947
Im Hamburger Hafen, 1909, 66cm x 80cm

In einem nur wenig kleineren Format als Monets Waterloo-Brücke von 1902, die ebenfalls in der Sammlung zu sehen ist, geht auch Albert Marquet auf die von Licht und Regenstimmung geprägte Farbe des Wassers und des Himmels ein. In einer durchgehenden Vereinfachung der Form entsteht eine Hafenszenerie von grosser formaler Kraft und bewegtem Rhythmus. Mit zeichnerischem Schwung und fein abgestimmten Farbwerten schildert Marquet den regnerischen Tag, aufgehellt durch glänzende Lichtreflexe auf der belebten Strasse entlang der Mole. Der Himmel ist trübe, das Wasser ein heller Spiegel, von weissem und grauen Rauch aus den Schloten der Dampfboote durchschnitten. Marquets beschränkte Farb-palette enthält Schwarz, Weiss und Grau, ergänzt mit spärlichen Rot- und Braun-tönen sowie Spuren von gelbem Ocker. Oft wird auch die graue Untermalung mit einbezogen, die sich mit dem Ocker zu einem grünlichen Klang vermischt.

Auffallend ist die klare Gliederung in drei parallel geschichtete Raumzonen mit entsprechender Luftperspektive. In den Figuren des Vordergrundes dominiert das warme Schwarz und Braun, abgestimmt mit Rot und Ocker. Der Hintergrund ist aufgehellt: Schwarz wird zu Grau, beeinflusst von wärmeren und kälteren Zugaben. Am Himmel und im Spiegel des Wassers vermischen sich Spuren von zartem Rosa mit grünlichem, hellen Weiss.

Max Liebermann, 1847-1935
Terrasse im Restaurant Jacob in Nienstedten an der Elbe, 1902

Anfangs der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts machte sich in Liebermanns Malweise der Einfluss der französischen Impressionisten bemerkbar. Zugleich wechselte der Künstler von den Milieuschilderungen der ländlichen Arbeit auf das Gebiet des bürgerlichen Freizeitlebens. Die schwungvolle Pinselführung im Nienstedtner Bild spiegelt die Unmittelbarkeit seiner Empfindung vor der Wärme dieser heiteren Sonntagswelt, die in ihrer lebendigen Vielfalt zum Ausdruck behaglicher Zufriedenheit wird. Der sozialkritische Blick wird abgelöst durch die Begeisterung für die Beobachtung der Farberscheinungen in ihrem Spiel zwischen Licht und Schatten. Die atmosphärischen Ansichten der Gasthöfe und Biergärten zählen zu den Höhepunkten dieser Schaffensphase. Erstaunlich ist die Genauigkeit trotz der Spontaneität der Pinselschrift. Aus der Nähe kaum erkennbar, fügen sich die Linien und Flecken zu einem Geflecht aus Licht und Schatten das, sobald der Betrachter das Bild aus einiger Entfernung ins Auge fasst, die Fülle der Erschei-nungen in allen Details erkennen lässt.

Max Beckmann, 1884-1950
Zigeunerin, 1928

Schon in seinem Frühwerk "Selbstbildnis mit Zigarette", entstanden 1907 in Florenz, lässt sich Beckmanns grosse malerische Begabung erkennen. Den unverwechselbaren Stil findet er im starken Helldunkel in seiner zeichnerischen, holzschnittartigen Bildsprache, welche die kräftigen Farben mit dunklem Kontur umfasst und in ihrer Leuchtkraft steigert. Nie laut oder grell, wie bei anderen expressionistischen Zeitgenossen, strahlt seine durch das Schwarz gefilterte Farbe Stille und melancholische Verinnerlichung aus. Seine weiblichen Gestalten ruhen in sich selbst, vermitteln aber auch den Eindruck von Sehnsucht nach Harmonie und Aufgehobensein im anderen Geschlecht. Sie wirken so erotisch wie verletzlich, getragen von Schicksalsgewissheit und innerer Kraft.

Richard Serra, 1939
Measurements of Time, 1996

Die Rauminstallation erinnert an die Wellen des Hamburger Hafenbeckens, an seine bleigraue Farbe und die unermüdliche Bewegung des Wassers zwischen den engen Molen. Serra beschwört das Bild des gefangenen Elements hinter den Hafenmauern am Dock, durch eine die ganze Breite des Raumes durchziehende Folge von Wellen aus Blei, die an den Grenzen der Wände zum wildem Aufschäumen gezwungen werden.

Richard Serra, 1939
Do it, 1983 und Anvil, 1988

Beide Rauminstallationen beeindrucken durch ihre schlichte, klare Form, ihre Leichtigkeit mit der sie der Schwere des Materials trotzen und durch die geniale statische Verbindung, die sie mit der Wand eingehen. Aufeinander bezogen, stellen sie Varianten des gleichen Motivs dar, thematisieren zentrale bildhauerische Fragestellungen, wie etwa das Verhältnis von Gleichgewicht und Masse oder von Statik und Instabilität. Die frei stehenden unteren Teile beider Installationen werden ausschliesslich durch das Gewicht der auf ihnen lastenden Platten in der Senkrechten gehalten. Auf schmaler Kante aufliegend, diagonal zum Raum gerichtet, berührt "Do it" an nur zwei Punkten den Winkel der Wände und garantiert die Stabilität der Konstruktion.

Auch "Anvil" spielt mit dem Thema Gleichgewicht: die obere Platte, quer gerichtet und hoch gestellt, berührt die Raumecke mit zwei Punkten. Sie ruht mit ihrem enormen Gewicht in steiler Schräglage genau auf der Ecke der unteren Platte, die aufrecht auf ihrer schmalen Kante steht und den Raum in diagonaler Richtung schneidet. Die Oberfläche der massiven schlanken Körper schimmert in mattem Rostbraun und zeigt die rohe Beschaffenheit des Eisens.

Mona Hatoum, 1952
Deep Throat, 1996

In einem kleinen dämmrigen Raum steht ein Tischlein mit Teller, Essbesteck und Wasserglas. Bereit für eine imaginäre Mahlzeit. Der Blick des Betrachters fällt auf den leeren Teller. Auf seiner Fläche die bewegte Projektion einer offenen Kehle, durch die mein Auge in das Labyrinth des Körperinnern gleitet. Endoskopisch geht es hinunter, immer tiefer hinen in den Bauchraum, wobei sich nun der Teller verwandelt zum Schlund, zur geöffneten, hungrigen Kehle. Mir dämmert, dass da etwas verkehrt läuft, die Rollen vertauscht sind. Im Abgrund glotzt mich der Hunger an zusammen mit seinem Bruder, der Gier. Ich selbst werde verschlungen und falle in die Tiefe der Innereien.

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