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Brügge - Memlingmuseum / Groeningemuseum

2002

Museumsreisen mit dem Skizzenbuch

Memlingmuseum
Hans Memling, um 1433-1494
Altar der heiligen Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist (Mystische Vermählung der hl. Katharina), 1479. Mitteltafel: 193,5cm x 194,7cm

Das Gemälde ist mit grosser Wahrscheinlichkeit für die neu errichtete Apsis im Krankensaal des Brügger Hospitals Sint Jans in Auftrag gegeben worden. Das Spital, im 15. Jahrhundert dem hl. Johannes geweiht, wurde durch eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern des Augustinerordens geleitet, deren Vertreter auf den Aussenflügeln als Stifter erscheinen. Die Kranken konnten während der Messe von ihren Betten aus das Altarbild betrachten.

Auf dem geöffneten Altarbild, im Zentrum des quadratischen Bildformats, thront Maria mit ihrem Kind. Zu ihren Seiten stehen die beiden Johannes und ihr zu Füssen knien, durch ihre Attribute gekennzeichnet, die hl. Katharina und die hl. Barbara. Johannes der Evangelist segnet den Kelch mit der Schlange, der das Martyrium des Giftbechers symbolisiert. Der Täufer wird von einem Lamm begleitet, welches auf das Opfer Jesu hinweist. Sein Fingerzeig auf das Kind verbildlicht den Ausspruch "Ecce agnus Die".

Die hl. Katharina hält ihre Hand dem Kind entgegen, das ihr einen Brautring über den Finger streift. Als Königin von Alexandrien erlebte sie in einer Vision ihre Vermählung mit Jesus. Die Heilige Barbara, die in einem Turm gefangen gehalten wurde, liest wie Maria in einem Buch. Memling hat ihr Attribut in eine gotische Turmmonstranz verwandelt, in welcher das Altarsakrament verwahrt wird. Die beiden Heiligen gehören zu den 14 Nothelfern, die von den Leidenden und Sterbenden um Beistand gebeten wurden.

Zwei Engel knien zur Seite der Madonna. Der eine spielt auf einem Portativ, der andere trägt für Maria das geöffnete Buch. Zwei kleine, dunkel gekleidete Cherubine schweben in der Höhe und halten die Krone der Himmelskönigin. Marias Thron ist mit einem kostbaren Brokat hinterfangen und von einem Baldachin überdeckt.

Die Landschaft hinter der Thronloggia verweist auf die Lebensgeschichte der beiden heiligen Johannes. In kleinfigurigen Szenen werden die wichtigsten Ereignisse aus den Heiligenlegenden dargestellt. Die Szenen der Predigt des Johannes, seine Gefangenschaft und die Verbrennung seiner Gebeine schildert Memling gleichzeitig hinter der Gestalt des Täufers. Die Stadtansicht hinter dem Evangelisten nimmt eine lokale Gegebenheit auf. Das Hospital besass seit dem 14. Jahrhundert das vom Stadtrat verliehene Privileg, den Wein zu messen und die daraus entstehenden Einnahmen für die eigene Wirtschaft zu verwenden. Memling stellt einen Ordensbruder in Verhandlung mit zwei Kaufleuten dar, daneben Weinfässer und im Hintergrund den Stadtkran von Brügge, der von zwei Männern im Tretrad betrieben wird. Die Taufe des Philosophen Kraton, der Aufbruch nach Patmos und die Marter des Heiligen im Ölkessel wird im schmalen Hochformat des Säulenzwischenraums erzählt.

Auf dem linken Innenflügel, der durch seinen hohen Horizont mit der Landschaft der Mitteltafel verbunden ist, wird die Geschichte des Täufers fortgesetzt: das Gastmal im Palast des Herodes, die Taufe Christi und als Hauptmotiv im Vordergrund, die Szene der Enthauptung. Rogier van der Weyden, der 1454 die Hinrichtungsszene mit tief empfundener Anteilnahme dargestellt hat, scheint Memlings Gestaltung in Äusserlichkeiten beeinflusst zu haben. Zu sehen ist das vor dem Johannesaltar, Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie.

Wie anders empfindet man dort vor Rogiers Version des des Märtyrerdramas! Es wird als grosse Tragödie, voller Grausamkeit und Ekel geschildert. Schrecken, Fassungslosigkeit und Entsetzen teilen sich im sprechenden Gestus der Beteiligten mit. Die Farbe im Gewand Salomes zeigt sich in düsterer Schwermut und von verletzender Schärfe im hemdsärmligen Habit des Henkerknechts. Dagegen bleibt die Schönfärbigkeit Memlings ohne Bezug zum Geschehen, die Anteilnahme der Figuren erschöpft sich in oberflächlicher Gestik und die Gesichter scheinen in ihrem Ausdruck gehemmt. Formale und ästhetische Aspekte stehen im Vordergrund des Erzählstils und die perspektivische Verkürzung des liegenden Körpers ist dem Maler wichtiger als der seelische Gehalt der Märtyrerlegende.

Auf dem rechten Innenflügel bilden die düsteren Szenen der Apokalypse einen bewegten Hintergrund zu Johannes, der auf seiner kleinen Insel sitzt und sich den Visionen hingibt. In miniaturhaftem Format erzählt Memling die Strafen aus der Apokalypse 4 und 6–13 und macht die Geschichte der Offenbarung zu einer surrealen Fabel. Über dem lichtblau schillernden Meer erscheint in einer Regenbogengloriole Gott der Allmächtige, umringt von den 24 Ältesten und vier sechsflügligen Tieren, wie es in der Apokalypse 4, 2-9 ausführlich beschrieben ist. Johannes, der beim Schreiben inne hält, erblickt in seiner Vision auch seine eigene Gestalt vor einem Altar mit brennendem Feuer. (Weiterführende Angaben zur Apokalypse bei Memling, siehe H. Belting, Ch. Kruse. Die Erfindung des Gemäldes, München 1994, Seite 250-251).

Auf den Aussenflügeln porträtiert Memling die vier Stifter. Auf der linken Tafel knien Jacob de Kueninc und Antonius Seghers beschirmt von ihren Patronen, den heiligen Jakobus und Antonius. Die beiden Frauen auf der linken Tafel, in der Tracht des Augustinerordens, sind Agnes Casembrod und Clara von Huelsen mit den heiligen Agnes und Clara. Alle vier Stifter bekleideten ein leitendes Amt im Spital. Die Farbigkeit des geschlossenen Altartriptychons wirkt gedämpft und zurückhaltend. Die Figuren in ihren Nischen stehen der Tradition gemalter Steinskulpturen nahe und ihre matte Farbe steigert das leuchtende Kolorit des geöffneten Altars.

1463 wurde die weltliche Einrichtung des Hospitals unter die Hoheit des Bischofs von Tournais gestellt. Dahinter zeichnete sich das Bestreben der burgundischen Herzöge ab, die Städte stärker in ihren Herrschaftsbereich einzugliedern. In seinen Anfängen eine Laiengemeinschaft, veränderten die Ordensregeln der Augustiner die Struktur der Institution. Der Zuwachs an Ansehen stand der Abhängigkeit von einer Instanz ausserhalb des städtischen Machtbereichs gegenüber. Die im Sozialwerk tätigen Augustiner entstammten zum grossen Teil den mittelstän-dischen Familien Brügges. 1472 befreite Karl der Kühne das Hospital von Erbschaftssteuern und sicherte ihm verschiedene Privilegien zu. Wer im Spital verstarb, stellte sein Vermögen der Institution zur Verfügung. Während ein Teil in die Staatskasse floss, waren die Vermögen der Ordensleute steuerfrei. Kriege und Seuchen wirkten sich negativ auf die wirtschaftlichen Bedingungen der Stiftung aus. Durch die Aufhebung des "gemischten Standes" um 1600 verlor Sint Jans nach und nach die männlichen Mitglieder des Spitalordens.


links: Ausschnitt aus "Taufe Christi" von Gerard David. Heiliger mit dem Stifter
Mitte: Hans Memling, Portrait von Martinus de Niewenhoven, 1487
rechts: Hans Memling, die hl. Katharina aus dem Johannesaltar

Groeningemuseum
Jan van Eyck, um 1390-1441
Paele-Madonna, 1434-1436. Altartafel: 140,8cm x 176,5cm

Georg van der Paele, Kanoniker der um 1800 zerstörten Kollegiatskirche St. Donatian, stiftete diese Altartafel, ein Werk, das einst den Hauptaltar der Kirche schmückte. Der Stifter ist nicht wie üblich auf einem Altarflügel abgebildet, sondern hält sich mit Maria und dem Kind im gleichen Raum auf. Auf der linken Seite steht der heilige Donatian, der erste Erzbischof von Reims. Er trägt das erzbischöfliche Prozessionskreuz und als sein Attribut ein Rad mit fünf brennenden Kerzen, das auf seine wunderbare Rettung vor dem Ertrinken anspielt. Der Ritterheilige Georg, Namenspatron des Stifters, empfiehlt den alten Kanoniker der heiligen Jungfrau, indem er "dem ehrwürdigen Greis van der Paele im patroni-sierenden Gestus auf die Albe [das liturgische Untergewand] tritt, während er die Madonna grüsst." (H. Belting, Ch. Kruse. Die Erfindung des Gemäldes, München 1994, Seite 153). Dreifach spiegelt sie sich in seinem Helm. Das Bild ist mit Ausnahme des Genter Altars das grösste erhaltene Werk Jan van Eycks und wurde berühmt durch die unerreichte Darstellung des Stofflichen.

Die Inschrift auf der oberen Rahmenleiste findet sich auch auf dem Genter Altar und bei van Eycks Kirchenmadonna in Berlin auf dem Mantelsaum (Madonna in der Kirche, um 1425, 31cm x 14cm. Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie). Aus dem Lateinischen übersetzt lautet die Hymne auf Maria: "Diese wurde strahlender als die Sonne erfunden und geht dem Bau der Sterne, verglichen mit dem Licht, voraus. Sie ist ein Abglanz des Ewigen Lichts und ein makelloser Spiegel der Majestät Gottes." Diese Lichtmetaphorik aus dem Buch der Weisheit (Lib. Sap. 7,29; 7,26) bezieht sich sowohl auf Maria und das Jesuskind, wie auch auf die göttliche Weisheit; sie kann aber auch als eine Allegorie der Malerei gedeutet werden. Im Liber sapientiae heisst es, dass die Weisheit, die der Künstler von Gott empfängt, ihn zu den wahren Werken führt und seinen Namen unsterblich macht (Lib. Sap. 8, 13). "Die biblische Lichtmetaphorik bezog der Maler auf das Licht, mit dem er die Schönheit der Dinge in seinen Bildern sichtbar machte. Der unbefleckte Spiegel, von dem die Inschrift spricht, konnte er auf seine Bilder beziehen." (Sebková-Thaller, 1991 in H. Belting, Ch. Kruse. München 1994).
Mit grosser Wahrscheinlichkeit zeigt das Gemälde den Chor von St. Donatian. Da es sich auf dem Hauptaltar in eben diesem Chor befand, wird der wahre Ort wie in einem Spiegel im Bild reproduziert. Damit war für den Betrachter der Vergleich mit der Wirklichkeit unmittelbar nachvollziehbar und stellte, wie schon die Wiedergabe der Stofflichkeit, die hohe Könnerschaft des Malers unter Beweis.

Marias Thron steht an der Stelle des Altars, auf dem das Brot in den Leib Christi verwandelt wird. Im Bild hat sich diese Wandlung vollzogen. Dem alten Kleriker erscheint, indem er vom Buch aufblickt, Christus auf den Knien seiner Mutter. Seinem Geiste offenbart sich das, was wir in der Bildwirklichkeit sehen können. Seine private Andacht im öffentlichen Kirchenraum erklärt sich aus seiner Stellung als "Kanoniker dieser Kirche", wie es in der Inschrift heisst. Die Stiftung, die auch zwei Priesterstellen umfasste, verfolgte ganz praktische Ziele. Bedingt durch sein hohes Alter und aus Gesundheitsgründen wurde Paele von der regelmässigen Teilnahme am Gottesdienst freigestellt. Die tägliche Messe, die ein Priester in seinem Namen zu lesen hatte, ist Teil des mit der Stiftung erworbenen Rechts auf die Stellvertretung seiner Person. Das Gemälde bezieht sich auf die Frömmigkeit des Georg van der Paeles und diente erst in zweiter Linie seiner Selbstdarstellung.

Gestalt und Oberflächen der verschiedenartigsten Materialien erscheinen im Bild in höchster Vollendung und die unzähligen Details schliessen sich im Licht zur harmonischen Einheit zusammen. Illusion scheint Wirklichkeit zu werden, vorgetäuscht mit bislang unerreichter Überzeugungskraft. Den Bürgern der reichen Handelsmetropole Brügge war van Eycks Könnerschaft, in der Wiedergabe des Stofflichen, Anlass zu grosser Bewunderung. Dem materiellen Sinn und Denken der Kaufleute entsprechend, wurde der getreuen Wiedergabe des Dinglichen einen besonderen Wert zugemessen. Mit seiner Malerei imitiert van Eyck nicht nur kostbares Material, sondern er stellt selbst ein äusserst wertvolles und begehrtes Gut her, das den Wert der dargestellten Dinge bei weitem übertrifft. Belting bemerkt dazu: "Im Bereich des Wettbewerbs, in dem das gemalte Gold die Stelle des echten Goldes besetzt, wird die frühere Hierarchie zwischen der ‚kostbaren‘ Goldschmiedekunst und der ‚billigen‘ Malerei gleichsam umgekehrt. In der zeitraubenden Perfektion der Öltechnik wird die Malerei um ihrer selbst willen kostbar und ist es nicht mehr allein im Namen dessen, was sie herstellt." (Die Erfindung des Gemäldes, Seite 62). Van Eyck benötigte für die Ausführung des Gemäldes zwei Jahre.

Belting weist auch darauf hin, dass das Schild des hl. Georg, das wie ein konvex verzerrter Spiegel wirkt, einen Mann mit roter Mütze reflektiert. Er vermutet darin den Künstler selbst und weist auf den ursprünglichen Zusammenhang der Begriffe "Schild" und "Schilderei", das im niederländischen "Malerei" bedeutet (Ebd. Seite 64.). Kunst und Handwerk waren zur Zeit van Eycks noch keine eindeutig getrennten Begriffe. Mit der Erfindung einer Bildidee, die weit mehr ist als ein blosses Abbild des Realen, gewinnt die Individualität der Künstlerperson zunehmend an Bedeutung. Der Maler signiert nicht allein das Produkt seines handwerklichen Könnens, sondern die Bilderfindung. Daher wird von den Werkstatt-Repliken erwartet, dass sie dem Original genau entsprechen. "Das Motto, das Jan van Eyck immer wieder auf die Rahmen seiner Gemälde schrieb, zeugt mehr noch als seine Signatur vom persönlichen Stolz des Autors, der sein Werk, ähnlich wie der Literat, als seine ureigene Erfindung vorstellte." (Ebd. Seite 65). So darf das Motto "Als ich chan" (So gut ich kann) als Selbstlob in Form einer Demutsbezeugung verstanden werden.







Hans Memling,
Portrait einer jungen Frau, 1489

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