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Berlin - Alte Nationalgalerie

2002

Museumsreisen mit dem Skizzenbuch

Caspar David Friedrich, 1774-1840
Mondnacht am Strand mit Fischern, um 1817

Die mit den Umbau der alten Nationalgalerie entstandenen neuen Säle in der dritten Etage beherbergen wichtige Werke von Caspar David Friedrich und Carl Friedrich Schinkel. Zusammen bilden sie einen Höhepunkt des Hauses. Vom kleinen Kabinettstück "Mondnacht am Strand mit Fischern", über das Nachtbild "Zwei Männer am Meer bei Mondaufgang" bis zum Grossformat "Mönch am Meer" – in den 18 Gemälden von Friedrich, mit ihren ganz unterschiedlichen Bildmassen, lassen sich viele inhaltliche Zusammenhänge und formale Übereinstimmungen erkennen.

Ein auffallendes Ordnungssprinzip bei Friedrich ist die Bildsymmetrie und die Hervorhebung der Bildmittelachse. Mit diesem statischen Bildkonzept gewinnt die Weite und Tiefe des Bildraumes an Dominanz und lässt den Blick ungehindert bis zum Horizont und dem sich darüber wölbenden Himmel wandern. Vor dieser unendlichen Weite steht der betrachtende Mensch als Rückenfigur. Ob einzeln oder im Verbund mit andern, er wirkt klein und verloren vor der Weite des Raumes. Als würde er vor einem Abgrund stehen, wird er sich schaudernd der Unendlichkeit, die ihn umgibt, bewusst. Angesichts der Macht und Grösse der Natur erfährt er seine vom Schicksal gegebene Beschränkung. Sich dieser Erfahrung als einer Herausforderung zu stellen, ist jene thematische Konstante, die Friedrich in vielen Gemälden reflektiert. Dahinter steht eine neue, durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaft beeinflusste Auffassung über die Stellung des Menschen in der Welt, die sich vom religiösen Denken des Barocks fundamental unterscheidet. Während dort der Himmel noch mit dem Wohnsitz des Göttlichen in Verbindung steht und der Mensch sich fraglos in die Schöpfung eingebunden weiss, erschüttern die wissenschaftlichen Erkenntnisse das hergebrachte religiöse Weltbild. Die zentrale Rolle, die dem Menschen im göttlichen Schöpfungsplan einst gegeben war, ist der Einsicht seiner Beschränkung und Bedeutungslosigkeit im unermesslichen Universum gewichen.

Die Figuren im Vordergrund können stellvertretend für den Zuschauer gesehen werden. Ob sie den Mond betrachten, die sich ankündigende Morgendämmerung, die aufziehende Dunkelheit oder die ziehenden Wolken: es gibt keine fliessenden Übergänge von hier zu dort, von einer Raumzone zur anderen. Zwischen ihnen und dem aufgerissenen Himmelsraum liegen Schiffe vor Anker, treiben vor dem Horizont oder scheinen in der Dämmerung zu verharren. Oft wirkt die Landschaft vor ihnen unberührt, scheint ohne Spuren menschlicher Gegenwart zu sein. In der Gebirgslandschaft "der Watzmann" führt kein Weg hinauf zur strahlenden Helligkeit des mächtigen Schneegebirges. Hier wie dort vermeidet Friedrich perspektivische Richtungen, die den Vordergrund mit dem Hintergrund verbinden, wie er auch die plastische Ausformung der Bildelemente unterdrückt. Durch die Betonung der Bildmitte und den symmetrischen Aufbau wirken seine Kompositionen auf eigentümliche Weise erstarrt. Ihre Ruhe überträgt sich auf den Betrachter, der sich seiner Bedeutungslosigkeit vor dem Unendlichen bewusst wird. Die Welt der Erscheinungen ist eine Scheinwelt, imaginiert Friedrich. Wirklich ist nur der unendliche, leere Raum. Durch eine unüberwindliche Schranke getrennt, steht der Mensch vor dem Jenseitigen. Nur im Tod wird er diese Schwelle überschreiten.

Adolph Menzel, 1815-1905
Kircheninterieur, um 1845-1855

Menzels kritischer Blick und seine analytische Beobachtung konzentrieren sich auf die Darstellung menschlichen Verhaltens und auf die Schilderung von Licht und Raum. Er ist trotz allem Detailreichtum radikal in der Vereinfachung des Motivs, wie es sich bei vielen seiner kleinen Studien beobachten lässt. Die Interieurs und Hinterhofszenen erscheinen mir als meisterliche Schilderungen des Zufälligen, des unspektakulär Alltäglichen.

Eindrücklich stimmungsvoll ist Menzels berühmtes Balkonzimmer von 1845. Die Pinselspur integriert wie beiläufig die feinen Abstufungen und Reflexe des Lichts auf dem Fußboden und an der Wand und verbindet sie mit dem Kontrast der weissen lichtdurchfluteten Gardine und dem dunklem Braun des Stuhls. Das Zufällige der Anordnung deutet auf die Spuren der Bewohner und verdichtet sich zur lichterfüllten Momentaufnahme, in der die Menschen trotz ihrer Abwesenheit spürbar sind.

Auch im Atelierbild mit den Gipsabgüssen, im eigenen Schlafzimmer oder im Kircheninterieur, wo der barocke Hochaltar zu bedrohlichem Eigenleben erwacht, zeigt Menzel seine Fähigkeit, das wenig Beachtete zum Hauptsächlichen zu machen. So wird das müde Kutschpferd – eine ausgemergelte und misshandelte Kreatur – zum Gegenbild der inflationären Pferdebilder seiner zeitgenössischen Malerkollegen. Eine Kreatur in ihrem Elend, in Schönheit verwandelt durch Menzels Kunst. Er malt seine eigene Hand, eine kleine, weisse Keramikschale haltend, darin etwas Farbe. Den Blick lenkt er auf die gealterte Haut und eine Tropfspur giftgrünes Pigment. Ein Elixier, in dem die unbegrenzten Möglichkeiten von Material und Technik verborgen sind. Oder er beobachtet seinen rechten Fuss, mit dem verkrümmten grossen Zehenglied, wo das Unansehnliche sich durch Farbe und Zeichnung in atemberaubende Schönheit verwandelt. Ein Stück geschundenes altes Fleisch, in blassem Rosa und Gelb, von blauen Adern durchzogen. Der Zerfall des Körpers offenbart in einem kleinen, eindringlichen Ausschnitt – schonungsloser Realismus, der Menzels Publikum wohl überfordert hätte. An die Öffentlichkeit ist er mit anderen Themen gelangt.

Adolph Menzel
Strassenecke bei Mondschein, Einzelblatt aus der Grafischen Sammlung, Staatliche Museen, Gemäldegalerie

Menzel ist kein eigentlicher Landschaftsmaler, doch klingt landschaftliches in der städtische Umgebung an, die er in vielen Studien festhält, in den ärmlichen Grünräumen der Hinterhöfe und Schrebergärten, in den städtischen Parkanlagen und in den trüben Stimmungen der Vororte. Er schildert das Unauffällige und Rückseitige, kleine Ausschnitte voller Atmosphäre, in denen ein Stück Himmel mit ziehenden Wolken eine unbeachtete, vergessene Landschaft zum Ereignis werden lässt.

Sein Blick auf das Zerfallende, Zwiespältige steht im Kontrast zur prunkvollen Welt des Preussenkönig Friedrich II. Doch die Vergangenheit, die Menzel dort heraufbeschwört, erscheint wie ein Kleid, dessen Gewebe durchlässig geworden, die Farbe verblichen ist. Friedrich der Grosse war eine Leitfigur für das damalige Berlin, das sich als Hauptstadt für das deutsche Reich profilierte. An der Leistung des kulturbewussten Fürsten und seinem Ruhm nimmt die bürgerliche Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts Mass. Es ist die vergangene, weit ausstrahlende Macht dieses grossen deutschen Herrschers, der die Zeitgenossen Menzels in Berlin bewegt und an dessen Glanz sich ihre Sehnsüchte und Träume entzünden.

Menzel ist ein Historienmaler ohne Pathos, doch mit viel Gespür für das psychologische Element im Verhalten der gesellschaftlichen Elite. Die Schilderungen des preussischen Adels enthalten keine Kritik am System, doch sie zeigen das, was Menzel zeitlebens beschäftigte: Den Blick hinter die Kulissen, unter die Oberfläche der gesellschaftlichen Konventionen. Er hat ein unbestechliches Auge für menschliche Schwächen, für den Stolz und die Eitelkeiten der vermeintlich besseren Klasse.

Adolf Menzel
aus dem Konvolut "Historisches Kostüm"
Staatliche Museen, Gemäldegalerie

Carl Blechen, 1798-1840
Blick auf Dächer und Gärten, um 1835

In den Kabinetten, die als Apsiden die Rückseite der alten Nationalgalerie umschliessen, sind die kleinformatigen Gemälde der Romantiker ausgestellt. Sie könnten keinen passenderen Rahmen finden. Carl Blechen und Carl Rottmann haben in ihren Studien eine frühe Form expressiv anmutender Freilichtmalerei entwickelt. Unübersehbar ist beiden ihr Interesse an der Vielfalt der Farb-erscheinungen in Licht und Schatten. Ob es das Leuchten der Blätter ist, die ein Sonnenstrahl zum Klingen bringt oder die schattige Dämmerung einer Wald-lichtung: hingerissen von der Farbigkeit des Lichts entsteht eine Malerei, die ihre Gefühlskraft durch den bewegten Farbauftrag vermittelt.

In Blechens kleiner Ölstudie steigert sich ein unscheinbares Motiv zum singulären visuelles Ereignis. Die Auffassung des Realismus vorwegnehmend, findet Blechen Sehenswertes und Bewegendes nicht mehr in der pittoresken Vedute. Menzel wird von dieser Erkenntnis ausgehen und sich ohne Hemmungen dem Motiv, das keines ist, zuwenden.

Carl Rottmann, 1797-1850
Schlachtfeld bei Marathon, 1849

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