Rollo Schaub, Skizzen, Zeichnungen, Portraits

Anselm Kiefer, 1945
Volkszählung, 1991, Bleiplatten, Stahlträger und weitere Materialien wie Holz, Draht, Fotografien, Erbsen

Kiefers monumentale Installation ist ein Archiv, eine Aktensammlung aus tausenden von Bleiplatten. Riesenhafte Folianten, von Alter und Gebrauch gezeichnet, lagern auf hohen Gestellen, die eine Kammer mit schmalem Durchlass bilden. Blei als Synonym für Gewicht, Schutz und Abschluss wird in Kiefers Installation zur tonnenschweren Erblast, die Gewichtiges unter Verschluss hält. Der Titel "Volkszählung" legt nahe, was die tausenden von Seiten aus Blei bedeuten: Die Erfassung und Registrierung eines ganzen Volkes. Gefangen zwischen schweren Seiten, den Buchkörpern einverleibt wie abgezählte Erbsen. Eingeschlossen mit den Namen der Menschen ist auch die Geschichte des Volkes, sind die im Blei erstarrten Träume und Hoffnungen ganzer Generationen. Sedimente menschlicher Existenz, in allen Richtungen liegend, schräg auf den Ablagen, zerwühlt oder zu Haufen getürmt.

Dringt der Betrachter ins Innere des Raums vor und betritt den Ort der Verwaltung hinter den eisernen Regalen, werden seine eigene Grösse, seine Gewissheiten in Frage gestellt. Während aus den Registern die Seiten wie gefrorene Kaskaden quellen, fühlt man sich im Zentrum einer lebensfeindlichen Zelle, deren giftiger, weisser Staub und die sich auflösende Ordnung an die Mächte erinnert, deren Terror und Verwaltungszwang die Werte des Humanismus mit Füssen trat.

Den selben Themenbereich nimmt das Tafelbild mit dem Titel "Leviathan" auf. Die Überschrift und die zum Ausdruck gebrachte Verbindung mit der Tätigkeit des Registrierens und der Bemächtigung verdeutlichen worauf Kiefers Anspielungen hinweisen: Auf den Verlust des Persönlichen und der Menschlichkeit durch staatliche Macht und Willkür, die vor dem Hintergund totalitärer Ideologien alles gleichschalten, Individualität ausblenden und das Persönliche auf eine simple Registernummer reduzieren.